Gegenwart des Meeres und der Gastfreundschaft
Meine Stirn schlägt gegen die Scheibe, das Aufheulen des Motors reißt mich aus dem Dämmern, in das ich mich irgendwann während unserer Fahrt durch die staubige Küstenebene zurückgezogen hatte. Die Landschaft hat sich ein aufreizend, grünes Kleid übergeworfen.
„La Farola“, der Leuchtturm, heißt die spektakuläre Passstraße, die mir die Augen aufgerissen hat und mich in Vorfreude versetzt. Als eine der großen verkehrstechnischen Errungenschaften der Revolution ermöglicht sie erst seit 1965 den landseitigen Zugang nach Baracoa.
Zurückführen lässt sich der Name der Stadt auf die Sprache der Taíno, einer indigenen Ethnie, die einst diese Gegend bevölkerte. Demnach bedeutet Baracoa „Gegenwart des Meeres“.
Nachdem sich der Bus ,Made in China, in unzähligen Serpentinen über die Berge der Sierra del Purial gekämpft hat erblicken wir nach fünfstündiger Fahrt den Ort, den Kolumbus bei seiner Landung im Jahre 1492 als „Das herrlichste Land, was menschliche Augen je erblickten“ beschrieb.
Umrahmt von Bergen, die sich aus üppigen Regenwäldern erheben, welche als die letzten Großen der Karibik gelten, umgeben von prächtigen Flüssen ,liegt die Stadt an der weiten „Bahia de Miel, der Honigbucht. Es sind nicht etwa bedeutende historische, oder architektonische Attraktionen mit denen Kubas erste Hauptstadt lockt.
Es ist vielmehr die glückselige Melange aus grandioser Natur, farbenfrohen Kolonialbauten und karibischem Müßiggang die den Reisenden begeistert.
Hier, ganz im Osten des Landes, mehr als tausend Kilometer entfernt von der turbulenten Kapitale Havanna, folgt das Leben einem anderen Rhythmus.
Die Menschen sind freundlich und gelassen. Fremden begegnen sie mit großer Gastfreundschaft und echtem Interesse. Immer wieder kommen wir ins Gespräch. Nach einigen Tagen im Städtchen grüßen uns Einheimische so selbstverständlich, als wären wir schon immer da. Baracoa punktet mit Unverdorbenheit und Authentizität.Trubel und Kommerz konnten sich hier noch nicht ausbreiten. So wirkt der Ort bisweilen wie ein pittoreskes Relikt aus prätouristischen Zeiten.
Quartier nehmen wir am Rande des Zentrums in einer der vielen Casa particulares.
Lissy, unsere Vermieterin, erweist sich als absoluter Glücksgriff. Mitte der Achtziger in Leipzig studiert, spricht sie sehr gut Deutsch und ist im Ort bestens vernetzt. So gibt es nach einer herzlichen Begrüßung, samt etlicher Lobeshymnen auf Leipzig, einen erstklassigen Tipp fürs Abendessen.
Wenig später sitzen wir bei Alberto auf der Dachterrasse seines Hauses. Hier oben bereitet dieser mehrsprachige Entertainer allabendlich das beste Barbecue der Stadt. Er und seine Crew sind ein typisches Beispiel dafür, was auf Kuba trotz offensichtlichen Mangels möglich ist. Geht nicht gibt es bei ihm nur äußerst selten. Was nicht zu haben ist wird improvisiert. Das Ergebnis ist schmackhaftes Essen, Service mit Temperament und Esprit sowie charmantes Ambiente inklusive Meerblick.
Bei einem Mojito und der obligatorischen Zigarre lernen wir Rosendo kennen. „Schon was vor heute Abend“ ? „Nein, eigentlich nicht“ antworte ich. Er arbeitet irgendwas im Kulturbereich und lädt uns ein, ihn auf eine Ausstellungseröffnung zu begleiten. In einem der alten Kolonialbauten, Nahe dem Parque Independencia, ist die Party schon voll im Gange.Die farbenfrohen Bilder sind nur noch schmückendes Beiwerk, denn längst haben Musiker das Zepter übernommen und bringen die gut gefüllte Galerie zum Kochen.
Rosendo scheint die halbe Stadt zu kennen und schon sind auch wir mittendrin.
Unerwartet offen sprechen die Leute von alltäglichen Problemen mit Misswirtschaft und Mangel, von Sehnsüchten und der Hoffnung auf Wandel. Doch immer wieder ist auch vom Stolz auf ihr Land die Rede. Längst wissen viele Kubaner, dass sich so manch offensichtliche Segnung der westlichen Welt bei näherer Betrachtung als Mogelpackung entpuppt. Bleibt zu hoffen, dass die Reformen der letzten Jahre nicht zu spät kommen, und das Land seinen eigenen Weg findet. Als ich Rosendo nach dem wer weiß wievielten Rum frage, was die Welt von Kuba lernen könnte, betrachtet er mich erstaunt und antwortet nach kurzem überlegen.
„Der Zusammenhalt, die Solidarität , unser fast schon grotesker Optimismus und die Fähigkeit zu improvisieren sind wohl Dinge, die nicht mehr in vielen Gesellschaften so vorhanden sind“.
Recht hat er. Was die Kubaner mich an diesem Abend noch lehren, ist zu feiern und zu tanzen, wann immer sich dazu auch nur der kleinste Anlass bietet. „Wer gehen kann, der kann auch tanzen!“, ist nicht umsonst ein populäres Sprichwort auf der Insel. So drehe selbst ich, daheim als bekennender Tanzverweigerer geschätzt, an diesem Abend noch einige, leicht ungelenke Runden. An meinen Tanzeinlagen wird es nicht gelegen haben, dass wir spontan noch eine Geburtstagseinladung für den nächsten Tag bekommen.
Ein betagter LKW Z I L 130 , Fabrikation Sowjetunion, sammelt uns am verabredeten Treffpunkt ein. Auch Lissy sowie einige Leute vom Vorabend begrüßen uns gutgelaunt auf der Pritsche. Dazu weitere Freunde nebst der Familie des Geburtstagskindes mitsamt Kisten voller Speisen und Getränke, zudem ein zappelnder, quiekender Jutesack.
Die Stimmung ist ausgelassen. Flaschen kreisen, Lieder werden angestimmt während der betagte Laster stoisch auf der holprigen Straße in Richtung Maisi tuckert. Am Straßenrand verkaufen Bauern an klapperigen Holzständen, Obst, Kakao, Kaffee und Honig. Nach einer kurzweiligen, äußerst stimmungsvollen Fahrt erreichen wir das Ziel.
Verblichene Holzhütten mit Wellblech-und Strohdächern schwitzen in der Mittagshitze. Davor sitzen Männer mit von Sonne und Meer gegerbten Gesichtern. Sie rauchen filterlose Zigaretten und flicken dabei alte Fischernetze. Auf dem Fluss schaukeln kleine, bunte Holzboote gemächlich im gleißenden Sonnenlicht ,während Schweine das Strandgut durchstöbern. Boca de Yumuri wirkt wie der etwas heruntergekommene Schlupfwinkel aus einem Piratenfilm. Wir werden schon erwartet.
Nach kurzer Begrüßung verteilt ein kräftiger Kerl, dem Anschein nach Chef des hiesigen Piratenclans, die Gruppe auf mehrere Ruderboote und wir schippern in den Canyon des Rio Yumuri.
Das erste Stück des Flusses ist von steilen, hellen Felswänden flankiert. Doch schon nach wenigen hundert Metern öffnet sich das Tal. Hier lässt es sich aushalten. Natürliche Badebecken gesäumt von sonnigen Kiesbänken wechseln mit schattigen Plätzen unter üppig, grünen Baumdächern.
Als das Wasser an einer breiten Stelle zu flach für die Boote wird, geht die bunte Gesellschaft an Land. Die Party im Paradies kann beginnen. Als erstes wird das Ferkel aus dem Sack gelassen, unter einem Felsvorsprung das Lager aufgeschlagen und ein Tost auf das Geburtstagskind angestimmt.
Der Rest ist ausgelassenes Feiern bei Rum, Musik und Spanferkel, ist Dösen, Baden und Unterhaltung in fantastischer Kulisse. Tage wie dieser sollten die Zeit einfach ignorieren.
Doch irgendwann kommen die Boote zurück. Wir müssen das Paradies verlassen. Übermütig, berauscht und glücklich springe ich ein letztes Mal in den Fluss. Die Strömung treibt mich bis zum Strand.
Im letzten Licht des Tages erreichen wir die Stadt. Die Party endet erst viele Stunden später auf der Veranda eines Privathauses.
Am nächsten Morgen empfängt uns Lissy nach einem ausgiebigen Frühstück mit einer Überraschung. Sie hat eine MZ mit Seitenwagen ,inklusive Fahrer, organisiert. Er wird uns zum Alexander-von- Humboldt-Nationalpark chauffieren.
Die Maschine ,1988 in Zschopau vom Band gelaufen, ist in einem tadellosen Zustand.
Schnell und unkompliziert einigen wir uns auf den Preis. Vorbei an der etwas in die Jahre gekommenen Schokoladenfabrik, einem Geschenk der DDR an das neue Brudervolk in der Karibik, verlassenen wir die Stadt. Wir erfahren, dass sich Che, damals Minister der jungen kubanischen Republik eigentlich eine Werft von den Berliner Genossen gewünscht hatte. Das muss der DDR Führung zu riskant erschienen sein. Man traute den Kubanern den Betrieb einer so komplexen Unternehmung wohl nicht zu. So versorgt die Fabrik noch heute das ganze Land mit Schokolade.
Bevor kurz hinter der Stadt die Wildnis die Straße zu verschlucken scheint, können wir noch einen kurzen Blick auf den imposanten Tafelberg- El Yunque (der Amboss) werfen. Fast 600 Meter streckt er sein breites, kantiges Haupt aus der Küstenebene in den wolkenlosen Himmel. Die schweißtreibende Besteigung ist auf einer geführten Tour möglich.
Kurz hinter der Brücke über den Rio Toa verwandelt sich die Piste in ein staubiges Band, gespickt mit etlichen, teils vorgartengroßen, Schlaglöchern. Der tropische Regenwald weicht nur selten kleinen Dörfern am Straßenrand. Wie hingeworfen ducken sich die bunten, windschiefen Häuser zwischen Palmen und riesigen Bananenstauden.
An der Bahia de Taco stoppt das Gefährt. Vom Festhalten an der Sitzbank sind meine Finger ganz taub und eine dicke Staubschicht kaschiert den Sonnenbrand vom Vortag. Schnell nochmal ins Wasser gesprungen, bevor uns am Besucherzentrum auch schon der Guide erwartet. Gemeinsam mit sechs weiteren Besuchern starten wir die Dschungeltour. Auf schmalen Pfaden, vorbei an mächtigen Mahagonibäumen, Baumfarnen und wilden Orchideen bahnen wir uns den Weg. Von überall her schnallst, schmatzt und gurrt es. Wir horchen, staunen und schauen hinein in eine wilde, wundersame Szenerie voller Geheimnisse.
Den messerscharfen Augen unseres Führers bleibt keine Spezies verborgen. Voller Begeisterung lauschen wir seinen Erklärungen und halten Ausschau nach Tocororo , Polymita und Co. Die Artenvielfalt in dem mehr als 700 km² großen Nationalpark ist gigantisch. Mehr als 2000 Arten, der Großteil davon endemisch, machen dieses Refugium zu einem absoluten Muss für Naturenthusiasten. Unterstützt von der deutschen Regenwaldstiftung Oro Verde wurde im Park ein Konzept etabliert, welches die behutsame touristische Nutzung mit konsequentem Artenschutz verbindet.
Kuba gilt in Sachen Umweltschutz schon lange als vorbildlich. Die Umweltorganisation World Wide Fund For Nature (WWF) adelte Kuba 2006 als nachhaltigstes Land der Welt. Besonders die Region um Baracoa hat auch deshalb das Potenzial sich zum Zentrum des Ökotourismus in Kuba zu entwickeln.
Unser Guide bleibt abrupt stehen, lauscht und blickt konzentriert in das dichte, grüne Labyrinth über unseren Köpfen. Da ist er endlich. Die Bienenelfe, der kleinste Vogel der Welt. Wie verankert steht der bunt gefiederte Winzling in der Luft während er mit seinem dünnen Schnabel den Nektar aus einer leuchtend roten Blüte saugt.
Sichtlich stolz für seine Gäste auch diese Rarität entdeckt zu haben, führt der Guide die Gruppe zu einem verborgenen Wasserfall.
Hier können wir einen Moment rasten und im weichen, smaragdgrünen Wasser des kleinen Flusses dümpeln, bevor ein schmaler Pfad den Rückweg zum Ausgangspunkt markiert.
Wenngleich Bäche von Schweißperlen über meinen Körper mäandern, die Haut an meinen Zehen sich vom Laufen in den nassen Schuhen zu lösen beginnt, fühle ich doch absolute Zufriedenheit beim Streifzug durch die urwüchsige Natur.
Gut gelaunt werden wir bereits von unserem Zweitaktdompteur erwartet.
„Soll ich euch noch ein schönes Plätzchen zeigen“? „Claro, warum eigentlich nicht“. Schon geht’s zurück auf die staubige Piste.
Playa Maguana, heißt das schöne Plätzchen, welches nach kurzer Fahrt erreicht ist.
Keine Liegen, keine Schirme, kein Nippes, keine Bananenboote – nur Palmen, feinsandiger,weißer Strand und türkisblaues Meer. Gut, am Anfang der Bucht steht eine kleine Strandbar mit dezenter Beschallung,aber etwas Urbanität kann ja nicht schaden.
So stellt man sich die Karibik vor, wenn daheim am überfüllten Baggersee wieder Rush Hour herscht. Einfach mal alle Sinne auf Chillmodus. Lümmeln, schwimmen im glasklaren Wasser, eine leichte,warme Brise trocknet die Haut und gegrillter Fisch wird auf Bananenblättern serviert.
Hier möchte man stranden und die Zeit anhalten.
Doch Nichts ist bekanntlich für die Ewigkeit. Auch hier am schönsten Ende Kubas ist es einmal an der Zeit Adieu zu sagen.
Am nächsten Morgen wird uns der schrille Schrei des Weckers aus dem Bett scheuchen. Wir werden zum Busbahnhof hetzen, uns in einem überfüllten Vehikel auf holprigen Straßen von diesem wunderbaren Ort entfernen. Doch dem Schwermut kann ich mich morgen auf der Rückfahrt hingeben.
Heute Abend wollen wir noch einmal ausgiebig feiern, unseren Abschied von einfallsreichen, großherzigen und stolzen Menschen, die wir gewiss nicht das Letzte mal besucht haben.
Hola,qué tal? Ich blicke in dunkle, neugierige Augen. Carlos heißt der junge Mann in der Sitzreihe vor uns. Er kommt aus Maisi und begleitet seine betagte Großmutter auf der Busfahrt zur Tante nach Santiago. Schon sind wir wieder mittendrin.
Kubaner haben eben immer Zeit für ein Lächeln und eine kleine Unterhaltung.
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