Vom Wind zerzaust stemmt sie sich gegen die tosende Brandung des Atlantik. Dunst umhüllt am Morgen die weite, sichelförmige Bucht. Auf der Kaimauer dösen die Möwen und nur gelegentlich zerreißt das Quietschen eines Holzkarrens die Stille in den Gassen der Medina. Essaouira wirkt entrückt und verschlafen, wie bei meinem ersten Besuch.
Damals, 1991, verirrten sich nur wenig Fremde an diesen charmant schmuddeligen Ort mit seinen bröckelnden Fassaden. Eine zur Bedeutungslosigkeit verdammte Enklave der Melancholie.
Doch die Stadt hat sich verändert.
Ihre erneute Auferstehung nach Jahrhunderten wechselvoller Geschichte zwischen Phöniziern, Sultanen und Franzosen verdankt sie zweifelsohne auch der Adelung zum Unesco-Weltkulturerbe. War einst die Rolle als Handelsplatz für Gold, Weihrauch und Federn zwischen dem subsaharischen Afrika und den Metropolen Europas, Garant für Ruhm und Wohlstand, so bringt ihr jetzt der Tourismus neuen Glanz. Kleine Hotels eröffneten in den prunkvollsten Palästen der Medina.
Mit ihren meist fensterlosen Fassaden wirkt sie auf den ersten Blick wenig einladend, doch im Inneren erwartet den Besucher der ganze Reichtum marokkanischer Architektur. Gemächer mit kunstvollen Kassettendecken aus Zedernholz, bunten Wandkeramiken und Arabesken gruppieren sich um den begrünten Innenhof und sind Oase der Ruhe und Entspannung. In den belebten Gassen der Altstadt haben sich neben Händlern und Kunsthandwerker zahlreiche Boutiquen eingerichtet und bieten sowohl traditionelle Waren als auch allerlei Nippes.
Noch immer geht es weniger hektisch zu als in anderen marokkanischen Städten und seine Bewohner, die Souiris, empfangen den Reisenden mit freundlicher Gelassenheit.
Gregi, der Kunstschnitzer mit dem ansteckenden Lachen, ist ein solcher Vertreter. Auf der Sqala de la Kasbah, einer Plattform auf der alten portugiesischen Festungsanlage, trifft er mich. Hier, wo der Atlantik mächtige, gischtspuckende Wellen gegen die trutzigen Mauern treibt, genießt er die morgendliche Symphonie aus Wasser und Wind. Unter seiner dunklen Djelaba trägt er Jeans, lobt Allah und preist die Zeiten, als Essaouira zum Fluchtpunkt für Hendrix, Zappa und Co avancierte. Die seltsame, bunte Karawane der Blumenkinder folgte damals ihren Gurus an diesen magischen Ort und zelebrierte die wohl schrillste Epoche der Stadt.
Als Hippies und Marihuanaschwaden abzogen blieb sie wie benommen zurück und verfiel in einen, Jahrzehnte andauernden, Dornröschenschlaf.
Heute hat man das frühere Mogador revitalisiert und dabei behutsam die historische Substanz bewahren können. Auch das kleine Riad am Rande der Mellah, dem alten jüdischen Viertel, erstrahlt in neuer Pracht. Nach einem Tee a la Menthe und dem obligatorischen Feilschen einigen wir uns und Gregi gibt mir die Schlüssel für das oberste Stockwerk. Ich mache es mir auf der Dachterrasse bequem. Wäsche weht träge im Wind, vom Hafen steigt Duft von gegrilltem Fisch herauf und der ferne Horizont verschmilzt mit dem glitzernden Meer zu blauer Unendlichkeit. Von hier oben überschaue ich das gesamte Ensemble der Altstadt.
Zwischen zwei schnurgeraden, sich kreuzenden Boulevards breitet sich ein rechtwinkliges Gassenlabyrinth aus, welches von wuchtigen Stadtmauern umringt wird. Dieses für marokkanische Städte untypische geometrische Muster kokettiert liebenswert mit dem oft chaotischen Treiben in seinen von weiß gekalkten Häusern umstandenen Straßen.
Auf Geheiß Sultan Ben Abdallahs wurden sie im 18. Jahrhundert von dem französischen Architekten Theodor Cornu nach dem Vorbild moderner europäischer Festungsstädte neu gestaltet. Dem Ruf des Herrschers folgten Kaufleute und Handwerker aus aller Welt in die aufstrebende Hafenstadt. Konsulate und Handelsvertretungen öffneten ihre Pforten, Moscheen, Kirchen und Synagogen entstanden in friedlicher Eintracht. Die liberale Aura ist noch heute überall in der Stadt zu spüren.
Am Place Moulay el-Hassan, der sich zwischen Medina und Hafen erstreckt herrscht um die Mittagszeit reges Treiben. Einheimische stehen in kleinen Gruppen schwatzend beieinander, während aus Marrakesch oder Agadir angereiste Tagestouristen mit ihren unaufhörlich klickenden Fotoapparaten staunend die Hälse heben.
In den kleinen Werften des einst bedeutendsten Seehafens an der nordafrikanischen Küste dösen die Arbeiter unter den Holzskeletten halbfertiger Fischerbote, und an den Grillständen preisen Verkäufer ihre fangfrischen Waren.
Ich nehme ein Taxi und fahre zum südlich gelegenen Sidi Kaoki, einem besonders bei Wellenreitern beliebten Strand. Aus den Lautsprechern dröhnt eine schrille Mixtur aus westlichem Pop und Gnawa-Musik. Die Gnaouas, Nachkommen ehemaliger Sklaven aus Schwarzafrika, brachten diesen Kult voller Mystik und Rhythmus nach Marokko, wo er sich mit einheimischen Einflüssen paarte.
Wenn im Juni jeden Jahres das Festival Gnaoua et Musiques du Monde d’Essaouira mehrere hunderttausend Musiker und Fans in die Stadt lockt, dann versinkt sie in exstatischer Verzückung.
Am Strand angelangt umfängt mich wieder die Stille. Der Passatwind modelliert lange, gleichmäßige Wellen, die elegant auf den flachen Strand zu tanzen. Feiner, warmer Sand kitzelt meine Fußsohlen und durchströmt alle Fasern meines Körpers. Zufrieden und glücklich verbringe ich den Nachmittag und schaue den Surfern bei ihren waghalsigen Kunststücken zu.
Für den Rückweg nehme ich den Bus.
Als ich die Stadt erreiche, verschluckt das blase Licht der Dämmerung die glühende Sonne und in den Souks, den bunten Märkten der Medina beginnt die allabendliche Ouvertüre.
Durch das Bab Doukhala, ein Tor in der mächtigen Stadtmauer, tauche ich ein ins quirlige Getümmel mit seinen orientalischen Darbietungen und Wonnen. Es ist eine wunderbare Melange aus fremden Geräuschen und exotischen Gerüchen. Unzählige Verkaufsstände säumen dicht gedrängt meinen Weg durch dieses bunte Wunderland. Händler gestikulieren hinter den farbenfrohen Auslagen. Pyramiden von Safran, Zimt und Harissa leuchten im Lichtkegel der Lampen, und selbst die an dicken Fleischerhaken hängenden Schafshälften im Metzgersouk haben etwas surreal Anmutiges.
Ich lasse mich treiben und tauche immer tiefer ein – in den Dschungel der pulsierenden Gassen und Höfe.
Gregi treffe ich vor seiner Werkstatt. Er scheint zufrieden nach vollbrachtem Tagwerk, und seid Touristen die weißgetünchte Perle an Marokkos Westküste wiederentdeckten, kann er von seinem Handwerk ein erträgliches Auskommen führen. Für ihn gab es nie den Gedanken, sich wie viele seiner Landsleute auf den ungewissen Weg nach Europa zu begeben. Sein Glück und seine Sehnsucht, sagt er, liegen hier – in Essaouira. Bleibt zu hoffen, dass sie nicht wie unzählige andere Orte vom Massentourismus überrollt wird, denn noch ist Essaouira echt und der Reisende schaut bei seinem Besuch in keinen kitschigen Spiegel.
Anreise
Von mehreren deutschen Flughäfen nach Marrakesch oder Agadir, weiter mit Bus oder Mietwagen. Mietwagen und Bus vor Ort buchen.
Übernachtung
- Riad Lala Mogador (kleine, charmante Oase in der Medina, Doppelzimmer ca. 45,00 Euro)
Reisetip
- Kombistädtereise Marrakesch – Essouira
Ach, da bekommt man gleich wieder Fernweh. Schöne Fotos und ein ausführlicher Bericht. War ja eigentlich nicht so mein Ziel, aber jetzt hätte ich doch mal Lust auf einen Besuch dort.
Gruß, Max von fortgefahren.tv